Die Geschichte der Europäischen Union ist bislang durch ein Geflecht konkurrierender Motive und Entwicklungstendenzen charakterisiert, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten jeweils richtunggebend auf die Entwicklung der Gemeinschaft eingewirkt haben. Bezeichnend ist daher nicht die geradlinige Verwirklichung einer genau umrissenen Planung, sondern die Umsetzung des Möglichen und Machbaren in der jeweils gegebenen zeitgeschichtlichen Lage.
Das die Strukturen der Europäischen Union langzeitig bestimmende unübersichtliche Vertragskonglomerat ist auf diese Weise von Kompromiss zu Kompromiss und von Erweiterung zu Erweiterung der Gemeinschaft komplexer geworden. Für die Union resultiert daraus sowohl ein Akzeptanzproblem bei den EU-Bürgern, denen „Brüssel“ immer undurchsichtiger erscheint, als auch die mit dem Mitgliederwachstum verbundene Schwierigkeit, im bestehenden Institutionengefüge die Arbeits- und Handlungsfähigkeit der einzelnen Organe zu gewährleisten.
Der durch das Ende des Ost-West-Konflikts bedingte tiefgreifende Wandlungsprozess hat zur Europäischen Union geführt, die mit dem Euro über eine gemeinsame Währung verfügt und nun auch die Staaten Mittel- und Osteuropas groÃteils einschlieÃt. Die Ausgestaltung und Fortführung des europäischen Integrationsprozesses bleibt auch unter den Bedingungen des Reformvertrags von Lissabon eine auÃerordentliche Bewährungsprobe.
Mit Jacques Delors stand der Europäischen Kommission ab 1985 ein Präsident vor, der die Integration der Gemeinschaft energisch förderte, indem er die Vollendung des Binnenmarkts konsequent vorantrieb. Dazu sollten die Römischen Verträge von 1957 ergänzt und die politischen Entscheidungsstrukturen verbessert werden: Stärkung des Mehrheitsprinzips im Rat sowie der Stellung des 1979 erstmals direkt gewählten Europäischen Parlaments durch Einführung des neuen Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen Rat und Parlament. Im Februar 1986 unterzeichnet, trat die Neuausrichtung der Gemeinschaft in Gestalt der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) im Juli 1987 in Kraft.
Der Zeitplan sah vor, dass der Europäische Binnenmarkt bis Ende 1992 in allen Feldern verwirklicht sein sollte. Zug um Zug wurde dieses Programm durch klare Zeitlimits und Kontrollen der Kommission bei zugleich enger Abstimmung mit dem Rat umgesetzt. Die Vorgaben der Gemeinschaft schlugen nun in deutlich erhöhtem MaÃe auf die einzelstaatliche Gesetzgebung in den Mitgliedsländern durch. Mit der Einführung einer Europahymne und der Ãbernahme der Flagge des Europarats für die EG markierte die EEA auch symbolisch einen Aufbruch der Gemeinschaft zu neuen Zielen.
Der Anpassungsdruck, der die EU nach dem Ende des Ost-West-Konflikts erfasst hat, spiegelt sich in der dichter gewordenen Abfolge von Ergänzungen und Ãnderungen der Gemeinschaftsverträge. Neben und nach der noch festeren europäischen Verankerung des geeinten Deutschlands musste es darum gehen, die Voraussetzungen für die Integration der aus sowjetischer Hegemonie entlassenen Staaten Mittel- und Osteuropas zu schaffen.
Schon die Vielzahl der beitrittswilligen Staaten stand im Kontrast zu allen bis dahin stattgefundenen Erweiterungen der Gemeinschaft. Noch problematischer mussten sich jedoch die gegenüber der vorhandenen Gemeinschaft gänzlich verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, Lebensbedingungen und das Wohlstandsgefälle darstellen. Andererseits zeigte das während der ersten Hälfte der 1990er Jahre in Nationenhass, Bürgerkrieg und ethnische Verfolgungen versinkende vormalige Jugoslawien, wie wichtig Modell und Praxis der europäischen Integration zur Stabilisierung der im Umbruch befindlichen postkommunistischen Staatenwelt im Interesse sowohl der Beitrittskandidaten wie der Altmitglieder sein konnten.